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Universitäts-Sternwarte München


Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität

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Geschichte der Sternwarte

Schoenberg – Wendelstein

Mit der seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmenden Verschlechterung der Beobachtungsmöglichkeiten in Bogenhausen war auch immer wieder die Idee einer Alpensternwarte diskutiert worden, die aber regelmäßig beim Kultusministerium wegen fehlender Finanzierungsmöglichkeiten auf Ablehnung stieß. Eine unerwartete Möglichkeit zur Realisierung dieser Ambitionen bot sich 1949, als über die Zukunft des Sonnenobservatoriums auf dem Wendelstein, einem 1838 Meter hohen Berg in den bayerischen Voralpen etwa 75 km südöstlich von München, entschieden wurde. Das Observatorium war zu Beginn des Zweiten Weltkrieges aus militärischen Überlegungen heraus im Auftrag der Erprobungsstelle der Luftwaffe Abteilung Flugfunk in Rechlin (Mecklenburg) von dem aus Weimar stammenden Sonnenphysiker Karl-Otto Kiepenheuer (1910–1975) errichtet worden, nachdem schon in den Jahren 1936/37 von der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt auf dem Wendelsteingipfel ein UKW-Drehbaken-Versuchssender für Flugzeugeigenpeilung betrieben worden war und die Luftwaffe 1937/38 auf dem Ostgipfel mit einer X-Leitstrahlsendeanlage experimentiert hatte, einem Verfahren, das zielgenaue Bombenabwürfe auch bei Nacht oder schlechter Sicht ermöglichen sollte.

[Der Wendelsteingipfel im Jahre 1935]

Der Wendelsteingipfel nach einer Photographie aus dem Jahre 1935. Ein Gipfelkreuz steht dort seit 1866. Die Kapelle war der Überlieferung nach 1718 in Erfüllung eines frommen Gelübdes von einem Bauern aus Bayrischzell errichtet worden, der am Wendelstein seine verirrten Pferde wiedergefunden hatte.

[Peilsender auf dem Wendelstein][Peilsender auf dem Wendelstein]

Der Wendelstein war nicht nur wegen seiner Höhe als Standort eines Peilsenders ausgewählt worden, sondern auch wegen der bereits vorhandenen touristischen Infrastruktur, die durch die 1912 errichte Zahnradbahn von Brannenburg bis zum Niveau des Wendelsteinhauses noch verbessert worden war. Die Bilder zeigen den Schutzbau um die Antennenanlage, der im Volksmund auch Gams-Silo genannt wurde.

[Unterkunftshütte für das Personal]

Die Unterkunftshütte für das Personal der gerade rechts dahinter im Aufbau begriffenen Leitstrahlbake für das X-Navigationsverfahren auf dem Wendelstein-Ostgipfel.

[Leitstrahlbake auf dem Wendelstein][Leitstrahlbake auf dem Wendelstein][Leitstrahlbake auf dem Wendelstein]

Die fertige Ablage war ab 1938 in Betrieb. Wegen der Verschärfung der politischen Situation wurde sie 1939 an den Westwall verlegt.

Als man bei der Luftwaffe den Einfluß der Sonnenaktivität auf die Qualität der Funkkommunikation erkannte, lag es nahe, einen Funkberatungsdienst aufzubauen, der seine Informationen aus einer permanenten Überwachung der Sonne bezog. Da hierzu eine angemessene Zahl von Sonnenobservatorien erforderlich war, wählte man neben der Zugspitze, dem Schauinsland bei Freiburg und der Kanzelhöhe bei Villach auch den Wendelstein als Standort für ein geeignetes Observatorium aus. Wegen der dort schon vorhandenen Infrastruktur konnte das Wendelstein-Observatorium als erstes schon im Laufe des Jahres 1940 in Betrieb gehen und allmählich mit den Messungen begonnen werden. Anfangs standen an einer gemeinsamen Montierung im großen Turm nur zwei 11-cm-Zeiss-Refraktoren zur Sonnenfleckenaufzeichnung bzw. Flareüberwachung zur Verfügung. Das Ensemble wurde dann im Januar 1943 noch mit einem 10-cm-Koronographen zum Studium der inneren Korona erweitert. Im gleichen Jahr konnte auch noch ein 30-cm-Coelostat zur Untersuchung der Sonnenchromosphäre in einer separaten Kuppel aufgestellt werden. Alle gewonnenen Daten wurden der Zentralen Funkberatung der Reichsstelle für Hochfrequenzforschung zur Auswertung übermittelt. Trotz des alliierten Forschungsverbotes war der Betrieb auf dem Wendelstein nach dem Krieg ohne Unterbrechung weitergegangen. Die Finanzierung erfolgte noch bis zur Währungsreform mit ehemaligen Reichsmitteln und wurde dann vom National Bureau of Standards übernommen, das als Gegenleistung die tägliche Übermittlung der Koronadaten an das Central Radio Propagation Laboratory in Washington verlangte.

[Sonnenobservatorium auf dem Wendelstein 1940][Sonnenobservatorium auf dem Wendelstein 1942][Sonnenobservatorium auf dem Wendelstein 1943]
[Sonnenobservatorium auf dem Wendelstein 1944][Sonnenobservatorium auf dem Wendelstein 1945]

Das erste Bild, aufgenommen am 9. November 1940, zeigt, dass französische Kriegsgefangene am Umbau des nicht mehr benötigten Schutzbaus der demontierten Drehbake zur Behausung der Sonnenteleskope beteiligt waren. Die eigenwillige, schalenförmig zu öffnende Kuppel hatte Kiepenheuer auf einem Schrottplatz in Rechlin gefunden. Die folgenden Aufnahmen des großen Turms entstanden 1942, 1943, 1944 und 1945.

[Materialseilbahn]

Zur leichteren Versorgung des Observatoriums wurde im Sommer 1942 eine provisorischen Materialseilbahn errichtet. Das 1889/90 auf einem Felsrücken gegenüber dem Berggasthof errichtete Wendelsteinkircherl trägt auch heute noch das Prädikat Deutschlands höchstgelegene Kirche.

[Kiepenheuer und Teilnehmer einer Wendelstein-Konferenz]

Kiepenheuer erläutert im Januar 1943 Teilnehmern einer Wendelstein-Konferenz die instrumentelle Ausstattung des Observatoriums. Bei diesem Treffen diskutierten zwanzig einflussreiche deutsche Wissenschaftler die Probleme des im Aufbau befindlichen Netzes von Sonnenobservatorien.

[Aufbau des Coelostaten][Aufbau des Coelostaten]
[Der Coelostat][Behausung des Coelostaten]

Am 17. Januar 1943 wurde unter extremen Bedingungen in einem bereits 1941 errichteten gesonderten Kuppelbau ein 30-cm-Coelostat montiert. Der Hauptspiegel des Gerätes folgte dem Lauf der Sonne und lenkte dabei das Sonnenlicht über den Spiegel rechts oben immer senkrecht in den Turm, wo schließlich von einer Linse ein ortsfestes Sonnenbild erzeugt wurde. Dieses konnte dann mit einem Spektrographen über einen komplexen Mechanismus monochromatisch untersucht und photographisch aufgezeichnet werden und erlaubte damit das Studium unterschiedlich tiefer Schichten der Sonnenphotosphäre. Die Aufnahme des kleinen Turms, der den Coelostaten beherbergte, stammt aus dem Oktober 1945.

[Hans Haffner bei der Arbeit]

Der aus Nördlingen stammende Astronom Hans Haffner (1912–1977) leitete ab 1941 bis Kriegsende Aufbau und Betrieb des Sonnenobservatoriums Wendelstein. Die Aufnahme zeigt ihn im Jahre 1943 in landestypischer Arbeitskleidung bei der Aufzeichnung von Sonnenflecken.

[Teilnehmer einer Konferenz der Alliierten am Wendelstein]

Mitte September 1945 fand auf dem Wendelstein eine Konferenz der Alliierten statt, bei der die unterschiedlichen Interessen der USA, Großbritanniens und Frankreichs bei der Nutzung der Sonnenüberwachung diskutiert wurden.

Nachdem am 20. April 1949 das Sonnenobservatorium per Gesetz der Militärregierung in den Besitz des Bayerischen Staates übergegangen war, wurde es infolge der rastlosen Bemühungen Schoenbergs mit Wirkung vom 1. Juli 1949 der Universitäts-Sternwarte angliedert. Da aber auch die Akademie Besitzansprüche anmeldet hatte, wurde als Kompromiss eine an der Akademie beheimatete Kommission Observatorium Wendelstein gegründet, die eine Zusammenarbeit mit dem Sonnenobservatorium Schauinsland koordinieren sollte. Außerdem wurde einem Wunsch des bayerischen Ministerrates entsprechend der Aufbau einer astrophysikalischen Station auf dem Ostgipfel des Wendelstein ins Auge gefasst.

Zur wichtigsten Person vor Ort sollte sich der aus Potsdam stammende Astronomen Rolf Müller (1898–1981) entwickeln, der seinen Dienst im Sonnenobservatorium noch auf Veranlassung von Kiepenheuer am 1. März 1946 angetreten hatte. Müller war nach seinem Studium der Astronomie 1924 Mitarbeiter am Astrophysikalischen Observatorium in Potsdam geworden, hatte 1926 an der deutschen Sonnenfinsternisexpedition nach Sumatra teilgenommen und von 1928 bis 1930 die Potsdamer Außenstation in La Paz/Bolivien geleitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er als Reserveoffizier an fast allen Fronten erlebte, war er nicht nach Potsdam zurückgekehrt, sondern hatte eine Tätigkeit an der Sternwarte Hamburg-Bergedorf aufgenommen, wo ihn dann die Wendelstein-Offerte erreichte. In der Folge gelang es Müller, das Sonnenobservatorium Wendelstein als ein akribisch und verlässlich arbeitendes Observatorium zu etablieren, dessen Beobachtungsdaten weltweit geschätzt wurden.

[Rolf Müller]

Rolf Müller war im März 1946 an das Sonnenobservatorium gekommen und leitete es von 1953 bis 1963 als Abteilungsdirektor.

[Müller mit amerikanischen Soldaten]

Diese Aufnahme zeigt Müller mit amerikanischen Soldaten im Frühjahr 1946 neben den Sonnenteleskopen im großen Turm.

[Die drei Hauptinstrumente des Observatoriums]

Die drei Hauptinstrumente des Observatoriums bei geöffneter Visierkuppel auf einer Photographie, die etwa 1954 entstand. Sie zeigt (v. l. n. r.): Refraktor mit Projektionsschirm zur Sonnenfleckenaufzeichnung, Koronograph zur Beobachtung der inneren Korona, Refraktor zur Flareüberwachung. Diese Anlage war bis 1987 in Betrieb.

Neben den Sonnenbeobachtungen zog vereinbarungsgemäß auch die Nachtastronomie auf dem Wendelstein ein: Die Hütte, die dem Personal der ehemaligen X-Leitstrahlsendeanlage auf dem Ostgipfel als Unterkunft gedient hatte, wurde wieder bewohnbar gemacht und 1950 auf den noch vorhandenen Fundamenten der Anlage eine ursprünglich in der aufgelassenen Außenstelle Herrsching im Einsatz gewesene Kuppel errichtet. Mit dem aus Stuttgart stammenden Rudolf Kühn (1926–1963), der gerade bei Schoenberg promoviert hatte, konnte ein engagierter Astronom zum Aufbau der Station und zur Aufstellung eines Dreifach-Schmidt-Astrographen gefunden werden, mit dem er dann nach den Vorgaben Schoenbergs ab Frühjahr 1951 galaktische Dunkelwolken untersuchte. Im August 1954 kehrte Kühn an die Sternwarte in Bogenhausen zurück, um mit der Reduktion seiner ca. 1000 photographischen Aufnahmen zu beginnen und diese wissenschaftlich auszuwerten. Bald jedoch intensivierte er eine andere Leidenschaft, mit der ihn offenbar Müller infiziert hatte, nämlich die Vermittlung astronomischer Erkenntnisse an interessierte Laien. Kühn war schon auf dem Wendelstein zusammen mit Müller bei den Vorbereitungen astronomischer Sendungen für den Bayerischen Rundfunk involviert gewesen und als man ihm anbot, eine astronomische Sendung für das neue Medium Fernsehen vorzubereiten, nahm er an und verließ zum 31. März 1956 die Sternwarte, um Deutschlands erster berufsmäßiger Fernseh-Astronom zu werden und astronomische Erkenntnisse möglichst vielen Menschen nahe zu bringen. Schon zwei Jahre später konnte er auf über einhundert erfolgreiche Sendungen zurückblicken. Kühn, der 1962 noch Mitbegründer der populären Astronomiezeitschrift Sterne und Weltraum geworden war, starb bereits ein Jahr später bei einem durch Glatteis verursachten Verkehrsunfall auf der Autobahn bei Augsburg.

[Rudolf Kühn bei der Arbeit]

Rudolf Kühn baute das Observatorium auf dem Wendelstein-Ostgipfel 1950 auf und arbeitete dort bis 1954. Das Bild zeigt ihn im Jahre 1950 beim Einsetzen einer Kegelblende in den Koronographen des Sonnenobservatoriums.

[Unterkunftshütte und Kuppel auf dem Ostgipfel]

Unterkunftshütte und Kuppel auf dem schneebedeckten Ostgipfel des Wendelstein. Die Wegstrecke zum Hauptgipfel konnte bei guten Witterungsverhältnissen in einigen Minuten zurückgelegt werden.

[Kuppel][Blick durch den Kuppelspalt]

Kuppel und Blick durch den Kuppelspalt zum Sonnenobservatorium auf dem Hauptgipfel.

[Dreifach-Astrograph]

Die drei Astrographen mit Leitrohr, die Kühn für seine photographischen Beobachtungen von Dunkelwolken benutzte. Die Optik der Instrumente war von der Fa. Ohlmüller in Berlin-Dahlem geliefert worden, während die gesamte Mechanik incl. der Linsenfassungen sowie die elektrischen Nachführung in der Werkstätte der Sternwarte entstand.

[Wendelsteingipfel aus der Luft]

Dieses Bild des Wendelsteingipfels wurde etwa 1955 aufgenommen und zeigt von vorne nach hinten: Wendelsteinkapelle, Bergstation des Lastenaufzuges, Kuppel mit den drei Hauptinstrumenten des Observatoriums, Kuppel für einen geplanten Koronographen, Fernseh- und UKW-Sendemast aus dem Jahre 1954, Kuppel mit einem Coelostaten, Unterkunftshütte und 1950 errichtete Kuppel mit Astrographen auf dem Ostgipfel.

Da die Akademie nach dem Krieg ihr Büro für die Erdmessungskommission an der Sternwarte Bogenhausen weiterbetreiben und den engen Kontakt zu den Astronomen auch künftig pflegen wollte, war die diesbezügliche, seit 1940 praktisch vakante Observatorenstelle im April 1948 mit dem aus Kassel stammenden Astronomen Wolfgang Strohmeier (1913–2004) wieder neu besetzt worden. Als dieser jedoch zum 1. Januar 1954 den Direktorenposten an der Remeis-Sternwarte Bamberg übernahm, wurde die Stelle gestrichen und das Büro an der Sternwarte, das seit den 1890er Jahren bestanden hatte, geschlossen. Auch die zweite noch verbliebene Bindung an die Akademie, die Kommission Observatorium Wendelstein, löste sich in dieser Zeit sang- und klanglos auf. Sie hatte sich nach ihrer fünften Sitzung am 18. Juli 1956 auf unbestimmte Zeit vertagt, zu einer Neubelebung war es aber nie wieder gekommen. Damit war die Trennung der Sternwarte Bogenhausen von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften eine endgültige geworden.

Bildquellen:

Nr. 1, 4–11, 13, 15–19, 21, 23, 26, 28, 29: USM
Nr. 2, 3: R. Kröber
Nr. 12, 22: J. Hertz
Nr. 14, 20: M. P. Sailer
Nr. 24, 25, 27: R. Kühn

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