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Impulsübertrag in einer Linie

Betrachten wir zunächst den Impulsübertrag durch die Absorption und Reemission von stellaren Photonen in einer spektralen Linie (Übergangsfrequenz im atomaren System $\nu_{\rm i}$), wobei wir die endliche Profilbreite der Linie vernachlässigen wollen. Bei diesem Prozess wird, pro Photon, ein radialer Impuls von

\begin{displaymath}
\Delta P_{\rm radial} = \frac{h}{c}\, (\nu_{\rm ein} \cos \theta_{\rm ein} 
- \nu_{\rm aus} \cos \theta_{\rm aus})\end{displaymath} (1)
vom absorbierten (``ein'') und reemittierten (``aus'') Photon auf das absorbierende/ reemittierende Ion übertragen, wobei $\theta$ der Winkel zwischen Richtung des Photons und radialem Einheitsvektor (parallel zum Geschwindigkeitsvektor) ist, dem das Ion folgt.

Aufgrund der gleichen Wahrscheinlichkeit, mit der nach innen bzw. nach außen reemittiert wird, ist der Mittelwert

\begin{displaymath}
\langle \cos \theta_{\rm aus} \rangle = 0,\end{displaymath} (2)
während
\begin{displaymath}
\langle \cos \theta_{\rm ein} \rangle \approx 1,\end{displaymath} (3)
da die Photonen vor der Wechselwirkung hauptsächlich aus Richtung des Sternes kommen, d.h. parallel zum Geschwindigkeitsvektor propagieren. Damit resultiert im Mittel

\begin{displaymath}
\langle \Delta P_{\rm radial}\rangle = \frac{h \nu_{\rm ein}}{c}.\end{displaymath} (4)
Betrachten wir nun die in Abb. 13 skizzierte Situation, die den Ausschnitt einer sphärischen Kugelschale (Geschwindigkeitszuwachs ${\rm d}v$ auf einer Skala ${\rm d}r$) im Wind zeigt. (Photosphärische) Photonen der Beobachterfrequenz = Startfrequenz $\nu_{\rm obs}$ können immer dann von einem Ion absorbiert werden, wenn ihre Frequenz im atomaren Bezugssystem gleich der Übergangsfrequenz $\nu_{\rm i}$ ist, d.h. aufgrund des Dopplereffektes


  
Abbildung: Skizze eines blauen Überriesen, der seine eigene Windhülle bestrahlt. $L_{\nu}$ ist die spektrale Leuchtkraft bei Frequenz $\nu$, v ist die Windgeschwindigkeit am Radius r and $\rho$ die dortige Dichte. Die eingezeichete Schale hat eine Masse von ${\rm d}m = 4 \pi r^2 \rho {\rm d}r$.
\begin{figure}
\centerline{\hbox{
 
\psfig {figure=sketch.eps,width=5cm,angle=-90}

 }}\end{figure}


gilt. Mit anderen Worten: Eine mögliche Absorption/Reemission, im weiteren kurz ``Streuung'', bei höheren Geschwindigkeiten erfordert Photonen, die auch bei höheren Frequenzen starten. Das dem Geschwindigkeitsintervall ${\rm d}v$ entsprechende Frequenzintervall ergibt sich damit aus Gl. 5 als

\begin{displaymath}
{\rm d}\nu_{\rm obs}= \nu_{\rm i}\frac{{\rm d}v}{c}.\end{displaymath} (5)
Berechnen wir nun die Strahlungsbeschleunigung obiger Schale ``durch'' die betrachtete Linie über die Definition jeglicher Beschleunigung, d.h.

\begin{displaymath}
g_{\rm rad}^{\rm i}= \frac{\Delta P}{\Delta t \Delta m}\end{displaymath} (6)
so ergibt sich diese, wenn wir den Impulsübertrag durch eine einzelne Streuung mit der Anzahl der im entsprechenden Frequenzintervall zur Verfügung stehenden stellaren Photonen multiplizieren, und zwar pro Zeiteinheit und Masse der beschleunigten Schale. Die Anzahl der Photonen pro Zeiteinheit ist dabei

\begin{displaymath}
N_{\nu} = \frac{\Delta (E_{\nu}/h\nu)}{\Delta t} = \frac{L_{\nu} \Delta
\nu_{\rm obs}}{h \nu_{\rm obs}}\end{displaymath} (7)
wobei $L_{\nu}$ die stellare Leuchtkraft (= abgestrahlte Energie pro Zeiteinheit) bei der Frequenz $\nu$ ist. Mit $\nu_{\rm ein} = \nu_{\rm obs}$resultiert damit die (radiale) Beschleunigung der Massenschale durch eine Linie

 
 \begin{displaymath}
g_{\rm rad}^{\rm i}= \frac{N_{\nu} \langle \Delta P_{\rm rad...
 ...rm i}}{c^2} \frac{{\rm d}v}{{\rm d}r} \frac{1}{4 \pi r^2 \rho}.\end{displaymath} (8)
Wir erhalten also das Ergebnis, daßdie Linenstrahlungsbeschleunigung der Schale vom Geschwindigkeitsgradienten in der Schale abhängt! (uff, Grübel, Grübel, ???) Eine sehr merkwürdige und in der Physik wohl einmalige Abhängigkeit!

Bisher haben wir stillschweigend vorausgesetzt, daßalle Photonen, die auf die fragliche Ionenspezies in der Schale treffen, tatsächlich absorbiert werden. Dies mußnatürlich nicht immer so sein und trifft de facto nur dann zu, wenn genügend viele Ionen vorhanden sind, die absorbieren können. Mit anderen Worten: die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit (WWW, nicht zu verwechseln mit dem web) wurde bisher mit ``1'' angesetzt, was zur Folge hatte, daßdie Beschleunigung keinerlei Abhängigkeit von irgendwelchen atomaren Eigenschaften aufwies, sondern nur von der Bestrahlung und der hydrodynamischen Struktur abhing. Berücksichtigt man eine endliche WWW, so ergibt sich diese als

\begin{displaymath}
WWW = 1 - {\rm e}^{-\tau}\end{displaymath} (9)
wobei $\tau$ die optische Tiefe im betrachteten Übergang bei $r, v, {\rm d}v$etc. ist (siehe unten). Aus dieser Eigenschaft lassen sich zwei Arten von Linien herauskristallisieren. Für Linien mit $\tau \gg 1$ (d.h., sehr vielen Ionen, sog. optisch dicken Linien) gilt $WWW \approx 1$, während optisch dünne Linien mit $\tau \ll 1$ eine $WWW \approx \tau$ haben. Die Strahlungsbeschleunigung einer optisch dünnen Linie ist also um den Faktor $\tau$ kleiner, als sie es im optisch dicken Fall wäre. Im weiteren werden wir deshalb die (minore) Näherung verwenden, daßalle Linien mit $\tau
\ge 1$ sich als optisch dick entsprechend Gl. 9 verhalten, während Linien mit $\tau < 1$ als optisch dünn definiert werden und ihre Beschleunigung mit der aktuellen optischen Tiefe (die dann natürlich von Details des Überganges abhängt) modifiziert wird. Man vergleiche den in Kap. 4 geschilderten, analogen Unterschied zwischen gesättigten und nicht-gesättigten P Cygni Profilen.


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Roberto Saglia
5/7/1998