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H$_{\rm \alpha}$-Profil und Massenverlustrate

Im folgenden wird der Zusammenhang zwischen $H_{\alpha}$-Profil und Massenverlustrate dargestellt. Wir verwenden dazu die gleiche (Sobolev-)Näherung wie auch schon in früheren Kapiteln, um die optische Tiefe des Linienüberganges zu berechnen.

Ebenso vernachlässigen wir bei der Abschätzung des Produktes $n_{\rm e}
n_{\rm HII}$ den geringen Metallgehalt (s.o., obwohl die Metallinien den Wind beschleunigen) und berücksichtigen nur die Elemente H und He. Schließlich sind diese beiden Elemente bei O-Sternen fast vollständig ionisiert:

 
 \begin{displaymath}
n_{\rm e} n_{\rm H}=\frac{1+Y_{\rm He}I_{\rm He}}{(1+4Y_{\rm He})^{2}}
\frac{\rho^{2}}{m_{\rm H}^2}\end{displaymath} (35)
($I_{\rm He}$ : Anzahl freier Elektronen pro Heliumatom = 2 unter den geschilderten Bedingungen). Analog zu Gl. 26 lautet die optische Tiefe  
 \begin{displaymath}
\tau = \bar{\chi}_{\rm i}(r) \, \lambda_{23} \, \frac{R_{\as...
 ... d}v / {\rm d}r} 
= \frac{A(r)}{r^{4}v^{2} {\rm d}v / {\rm d}r}\end{displaymath} (36)
Im Parameter A sind alle Konstanten des Linienübergangs und alle Windparameter enthalten. Der entscheidende Unterschied zur optischen Tiefe von Resonanzlinien liegt darin, daßder Nenner nun aufgrund der $\rho^{2}$-Abhängigkeit von $\bar{\chi}_{\rm i}$ einen zusätzlichen Term r2 v enthält!

Unter Verwendung der Saha-Boltzmanngleichung, der Kontinuitätsgleichung, Gl. (41, 42) und der atomaren Konstanten des Überganges finden wir für die Größe A(r)  
 \begin{displaymath}
A(r)={\cal F_{\alpha}} \cdot T_{\rm e}^{-1.5}\left [ b_{2}(r...
 ...He}Y}{(1+4Y)^{2}} \frac {\dot M^{2}}{R_{*}^{3} 
v_{\infty}^{3}}\end{displaymath} (37)

\begin{displaymath}
\mbox{mit} \qquad {\cal F_{\alpha}}=49.3\end{displaymath}

(${\dot M}$ in $10^{-6} M_{\odot}/a$, $v_{\infty}$ in 1000 km/s, $R_{\star}$in Sonnenradien $R_{\odot}$ und $T_{\rm e}$ in 104 K). In den Vorfaktor ${\cal F}$ gehen alle Konstanten, Umrechnungsfaktoren sowie Wellenlänge und Oszillatorenstärke des Übergangs ein. Die (bei O-Sternen) geringfügigen Abweichungen der Besetzungszahlen von ihrem thermodynamischen Gleichgewichtswert (Saha-Boltzmann) werden in Form der sogenannten Departurekoeffizienten berücksichtigt:  
 \begin{displaymath}
b_{i} = \frac{n_{i}}{n_{i}^{*}}.\end{displaymath} (38)
Die Departurekoeffizienten beschreiben demnach, bei einem aktuellen Wert von $n_{\rm e} n_{j+1}$, die aktuellen NLTE[*]-Besetzungszahlen in Einheiten der thermodynamischen Besetzung eines Niveaus i, und werden in unserem Fitprogramm aus Näherungen an Ergebnisse von Modellrechnungen übernommen. Aufgrund der Nähe zum lokalen thermodynamischen Gleichgewicht (s.o., ``LTE'') für Niveau 2 und 3 haben diese Koeffizienten einen Wert, der nicht allzu verschieden von ``1'' ist.


Gl. 43 zeigt den grundsätzlichen Unterschied der Skalierungsrelationen zwischen Resonanz- und Rekombinationslinien sofort auf. Während die optische Tiefe von Resonanzlinien von der Kombination ${\dot M}/(R_{\ast}v_{\infty}^2)$ abhängt (vgl. 32), finden wir hier aufgrund der zusätzlichen $\rho$-Abhängigkeit eine Funktion von ${\dot M}^2/(R_{\ast}^3 v_{\infty}^3)$!

Bei bekannter Endgeschwindigkeit sollten sich also (synthetische) H$_{\rm \alpha}$-Profile kaum verändern, solange die Größe $Q = {\dot M}/R_{\ast}^{3/2}$ unverändert bleibt. Dies ist der Grund, warum wir in Kap. 5.3 diese Kombination als eigentliche Meßgröße angeführt haben.

Der Windparameter A bewegt sich für OB-Sterne typischerweise im Wertebereich zwischen 10-7 und 10-1, so daß die $H_{\alpha}$-Linie im größten Teil des Windes optisch dünn ist (vgl. (42)). Man kann davon ausgehen, daß auch das Kontinuum in diesem Bereich optisch dünn ist. Bei der Berechnung des Profiles kann daher in guter Näherung der Beitrag des Kontinuums zur Quellfunktion vernachlässigt werden; berücksichtigt wird nur die Linienquellfunktion $S^{\rm L}(r)$.Letztendlich ergibt sich das H$_{\rm \alpha}$-Profil (in Einheiten des Kontinuums) in Sobolev-Näherung wie folgt:
\begin{displaymath}
R_{x}(x\gt)=\frac{\frac{1}{2} \int_{0}^{1} P_{x} e^{-\tau_{s...
 ...e^{-\tau_{s}} \right )\,p\,dp}{\frac{1}{2} \int_{0}^{1}\,p\,dp}\end{displaymath} (39)
\begin{displaymath}
R_{x}(x<0)=\frac{\frac{1}{2} \int_{0}^{1} P_{x} \,p\,dp
+ \f...
 ...e^{-\tau_{s}} \right )\,p\,dp}{\frac{1}{2} \int_{0}^{1}\,p\,dp}\end{displaymath} (40)
($x=(\nu/\nu_{0}-1)c/v_{\infty}$, Px : photosphärisches Profil, $I_{\rm c}=B_{\nu}(T_{\rm rad})$ Kontinuumsintensität bei x=0 (Linienmitte)). Das Kontinuum $I_{\rm c}$ wird durch die Planckfunktion $B_{\nu}$ berechnet, wobei $T_{\rm rad}$ die entsprechende photosphärische Strahlungstemperatur ist.

  
Abbildung: Schematische Darstellung der verschiedenen Windbereiche. In den Zonen rechts und links neben der Sternscheibe (``core'') sieht der Beobachter sowohl auf ihn zukommende als auch sich von ihm wegbewegende Materie. Der dunkle Bereich ist für den Beobachter nicht sichtbar und ist für die leichte Asymmetrie des beobachteten Profiles verantwortlich (zumindest solange nicht perfektes LTE gilt). Der sog. Stoßparameter p variiert in dieser Skizze entlang der horizontalen Achse. In der Sternmitte hat er den Wert ``0'', am rechten Rand der Sternscheibe den Wert ``1'' und wächst nach rechts weiter an.
\begin{figure}
\centerline{\hbox{
 
\psfig {figure=lobe.ps,height=7cm}

 }}\end{figure}

Die Interpretation dieser Gleichungen im Zusammenspiel mit Abb. 15 ist analog zu der in Abb. 11 skizzierten Entstehung eines P Cygni Profiles. Der wesentliche Unterschied ist hier der stärkere Abfall von $\tau(v)$ nach außen, im Gegensatz zur Quellfunktion, die praktisch konstant bleibt. Der blaue Teil des Profiles Rx(x>0) wird wiederum durch dasjenige Material verursacht, das auf den Beobachter zukommt bzw. durch Photonen, die vom Stern abgestrahlt werden. Vor der Sternscheibe sieht man das photosphärische H$_{\rm \alpha}$-Profil Px, das vom Wind geschwächt wird. Die Emission stammt vom zweiten Integral, dessen Beitrag umso größer ist, je größer die emittierende Fläche ist, d.h. maximal bei x=0 ist und minimal dort, wo $\tau$ praktisch verschwindet. Die größtmögliche Breite des Profiles ist wiederum bei x=1 entsprechend $v=v_{\infty}$ gegeben.

Auf der roten Seite des Profiles Rx(x<0) sieht man zum einen das ungeschwächte photosphärische Profil, da bei diesen Frequenzen der Wind vor der Sternscheibe NICHT absorbieren kann. Man sieht hier nur den hinteren Wind, wobei sein Beitrag (2. Integral) symmetrisch zum blauen Anteil ist.

Auf diese Weise wird die Variation des H$_{\rm \alpha}$-Profiles mit anwachsender Massenverlustrate klar. Bei kleinem ${\dot M}$ und entsprechend niedrigem $\tau$ dominieren jeweils die beiden ersten Integrale, $\exp(-\tau)$ ist klein und wir sehen ein symmetrisches photosphärisches Profil. Wächst ${\dot M}$ an, fangen die beiden zweiten Integrale an, merklich beitzutragen, und das photosphärische Profil wird langsam aufgefüllt, wobei das Resultat aufgrund der Asymmetrie des ersten Anteils ein asymmetrisches Profil ergibt. Bei sehr hohen Massenverlustraten dominiert schließlich der zweite Term vollständig, und wir erhalten ein praktisch symmetrisches Emissionsprofil, wie es auf dem Titelbild dargestellt ist!

In diesem Fall ist, unabhängig von jeglicher Theorie des Strahlungstransportes, die H$_{\rm \alpha}$-Emission einfach zu verstehen. Wir sehen im wesentlichen Photonen, die in einem sehr großen Volumen emittiert werden, u.zw. aufgrund der Elektronenkaskade von Niveau 3 auf Niveau 2. Da es sich hierbei um zusätzliche Photonen (verglichen mit dem rein stellaren Kontinuum) handelt, mußdas Profil in Emission erscheinen. Um die Form des Profiles allerdings zu verstehen, sollte man sich auf jeden Fall den Einflußdes Dopplereffekts vor Augen führen.


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Roberto Saglia
5/7/1998